Der Berliner Malerpoet Hans Joachim Zeidler

Eine Retrospektive

30.06.23 – 06.08.23
Uhrzeit: Di bis Sa: 11:30 bis 18:00 Uhr
Sonntag: 13:00 bis 18:00 Uhr
Kunstsammlernachmittag: 02.07.2023 von 14-17 Uhr
Führung durch die Ausstellung: 22.07.2023 um 16 Uhr

Zeidler Krake

Die Stadt Weißenburg zeigt  in der Kunstschranne die erste Retrospektive über den Berliner Malerpoeten Hans-Joachim Zeidler. Die Grundlage der Ausstellung bildet die gemeindliche Zeidler-Sammlung des Geo-Zentrums Solnhofen. Sie umfasst etwa 14 Prozent des Lebenswerkes, darunter das komplette lithographische Werk des Künstlers mit 139 verschiedenen Motiven. Solnhofen besitzt heute das museal vollständigste Archiv, das jemals über den Berliner Malerpoeten zusammengetragen wurde. Dazu gehören sein vollständiger Werkkatalog, Skizzenbücher, Temperabilder, Siebdrucke, Collagen, Standcollagen, Plakate, Kritiken, Bücher, Originale und Fotos von Frühwerken, und sogar eine Schallplatte. Zusammen mit ganz wenigen Leihgaben, die für die Retrospektive unersetzlich erscheinen, stammt der komplette Bestand der Exponate aus der Solnhofer Sammlung. Diese ist mit über 330 verschiedenen Einzelwerken so umfassend, dass sie nicht vollständig gezeigt werden kann. Aber sie ist von der Frühphase des Künstlers bis zu seiner späten Schaffensphase und darüber hinaus so vollständig, dass die Stadt Weißenburg eine erste Retrospektive „Berliner Malerpoet Hans-Joachim Zeidler“ präsentieren kann.

Hans Joachim Zeidler, geboren 1935 in Berlin Alt-Moabit, war nach eigenem Bekunden schon als Kind Maler, der im Alter von 6 Jahren anfing zu zeichnen, nachdem er zuvor in seinem „Buddelkasten“ mit Schäufelchen und Eimer aus utopischen Träumen Frühwerke der Erosion und Vergänglichkeit produzierte. Zwischenzeitlich nach Pommern evakuiert, fand er als Zehnjähriger in den Jahren 1945/46 in seiner Berliner Heimat eine Trümmerlandschaft vor, die ihn zeitlebens prägen sollte. Für ihn war die zerbombte Stadt eine Welt, die ihm die Sinnlosigkeit des Krieges offenbarte.

„Der Mensch ist überflüssig; fast alles, was er macht, ist gegen die Natur oder häßlich.“
– Hans-Joachim Zeidler, Die Lithographien („Lob der Steine“), 1985

Vernichtung und Vergänglichkeit waren allgegenwärtig.  Zeidlers Weg führte von Ruinenbildern und seinem präzis-detailbetonten Realismus zum Studium der Natur. Mit ureigensten Stil eines Manieristen war er streng in der Kontur, der Symmetrie zugeneigt, doppeldeutig, immer auf dem Weg zu einem vollkommenen Bild. Hans-Joachim Zeidler zeichnete und malte im Stil des Phantastischen Realismus. Diese Kunstrichtung war vor allen im deutschsprachigen Raum der Nachkriegszeit verbreitet. Vielen Vertretern war die Traumatisierung durch die Wirren des zweiten Weltkrieges gemein.

Zeidler ging von seiner „(West-)Berliner Nachkriegsinsel“ auf Reisen. So entwickelte sich sein Interesse an Vulkanbesteigungen, dem Sammeln von Fossilien und weitläufigen Strandwanderungen.  In der Schweiz lernte er im Jahre 1959 seine zukünftige Frau Ariane Vernet kennen. Anfang der sechziger Jahre kehrte er mit ihr nach (West-)Berlin zurück, um dort als freischaffender Künstler zu leben. Freiheit war ihm wichtiger als Sicherheit.

„Wo ich auch hinblicke: jeder versucht, seine Freiheit so rasch wie möglich gegen Sicherheit einzutauschen. Ich tue das Gegenteil“
– Hans-Joachim Zeidler, Atelierbesuch (Palettensplitter 3), 1985

Die Kunst von Hans-Joachim Zeidler hat ihre Wurzeln in utopischen Ideen. Seine unvergleichliche Phantasiebegabung war ihm sozusagen in die Wiege gelegt worden. Sein Atelier war in seinem Kopf, wo er seine Themen und Ideen ordnete, variierte, und miteinander kombinierte. Zeidler war fein gekleidet, stets mit der für ihn typischen Fliege. Hinter dieser Fassade lauerte aber seine Phantasie, aus der heraus er in seinen Gedanken mal eben eine Kanonenkugel durch einen Leuchtturm jagen konnte.

Im Jahre 1967 begann Zeidler als Schriftsteller zu schreiben, 1968 erschien sein erstes Buch „Fabeltiere“.  Ab dem Jahr 1972 gehörte Zeidler mit seinen poetisch pointierten Texten als Doppelbegabung zur Gruppe der Berliner Malerpoeten. Mitbegründerin und Leiterin der Berliner Malerpoeten war die Schriftstellerin und Malerin Aldona Gustas (geb. 1932 in Karceviskiu in Litauen).  In den späten 50er und 60er Jahren war sie Teil der West-Berliner und Kreuzberger Künstler- und Literaten-Szene, und mit Künstlerpersönlichkeiten wie Günter Grass, Günter Bruno Fuchs und Robert Wolfgang Schnell befreundet.

Zeidler fand seine Ruhe und Stille in bildhaften Träumen, zum Bespiel in Ballons, freischwebend über dem Gewimmel der Menschen am Boden, oder an den Stränden an der bretonischen Gezeitenküste. Für ihn war, wie er selbst skizzierte, Einsamkeit ein Werkzeug. Hans-Joachim hatte keines der typischen Künstlerateliers. Sein Atelier, in dem er arbeitete und lebte, war bereits selbst ein wahres Kunstwerk, welches er immer wieder neu arrangierte.

Die Retrospektive ist von den beiden führenden Zeidler-Experten Museumsdirektor Dr. Martin Röper und Galerist George Arauner zusammengestellt. Sie zeigt alle Facetten seines Schaffens von der Frühphase, bis hin zu seiner Spätphase mit seinem „Spiel am Meer“.  Wie Röper & Arauner erstmals in einer Retrospektive betonen, ist das Werk von seiner Rot-grün-Sehschwäche geprägt. Zeidler war farbenblind. Das erklärt auch seine Liebe für blaue Kreisbilder.

„Falls unser blauer Planet einmal Bilder exportiert, werden meine dabei sein, weil die Empfänger im Weltall selbstverständlich blaue Kreisbilder erwarten.“
– Hans-Joachim Zeidler, Atelierbesuch (Lob der Gegenwart), 1985

In seiner letzten Lebensphase, als ihm die Träume ausgingen und die Erblindung drohte, nahm er sich im Januar 2010 das Leben, und hinterließ im Geo-Zentrum Solnhofen ein großes Erbe und Vermächtnis.

„Wenn die Lichter dieser Welt ausgehen, wird man die Sterne besser sehen können.“
– Hans-Joachim Zeidler, Ausstellungskatalog Berliner Festwochen, 1980

Dass die erste Retrospektive über das Werk des Berliner Malerpoeten in Weißenburg gezeigt werden kann, hat seine Wurzeln in der späten Freundschaft zwischen Hans-Joachim Zeidler und dem Direktor des Geo-Zentrums Solnhofen Dr. Martin Röper sowie der Arbeit des Galeristen George Arauner als Kurator der Ausstellung. Beide Autoren zusammen haben mit der Publikation „Berliner Malerpoeten Hans-Joachim Zeidler – Das lithographische Lebenswerk im Geo-Zentrum Solnhofen“ im letzten Jahr ein Monumentalwerk geschaffen, dass nunmehr auch als vollständiger Katalog zur Retrospektive dient. Die Ausstellung wird, wie auch das Buch, von der Browse Gallery Berlin in Person von John Colton unterstützt. Die Berliner Galerie zeigt exklusiv die Porträtfotos aller vierzehn Berliner Malerpoeten.